von Gerhard Lechner, Gründer socialmentoring, 7. Dezember 2019
Der Perspektivenwechsel fördert Selbstreflexion und Empathie, schafft Überblick, hilft Vertrauen und Wertschätzung aufzubauen, fördert Stärken und Selbstverantwortung der Mitarbeitenden, lässt die Führungskraft in ihrer Rolle als Coach wachsen und verfeinert die Führungshaltung.
Der Perspektivenwechsel ist eine scheinbar simple Angelegenheit, will aber geübt werden – und er bringt vielfältigen Nutzen mit sich.
Seine Qualität liegt in der Bereitschaft, andere Sichtweisen zu erfahren, sie anzuerkennen und wertzuschätzen. Stärken und Kreativität des Teams werden dadurch sichtbarer, die Vielfalt unterschiedlicher Menschen wird aktiv genutzt.
Den Mitarbeitenden gegenüber empathisch zu sein, schafft zudem Vertrauen.
Und der Perspektivenwechsel befördert einen unvoreingenommeneren Blick auf die Welt. Er hilft, die eigene Meinung abzurunden, die eigene subjektive Perspektive zu relativieren und Vielfalt zu erkennen. Perspektivenwechsel verfeinert die eigene Führungshaltung.
Neue Sicht- und Handlungsweisen
Eine Führungskraft steht im Berufsalltag oft vor neuen Situationen, bei deren Bewältigung neue Sichtweisen und – daraus resultierend – neue Handlungsweisen hilfreich sind.
Perspektivenwechsel heißt, sich in die Lage einer anderen Person zu versetzen und zu versuchen, eine Situation durch die Augen des/der anderen zu betrachten.
In der Schwerelosigkeit des Weltraums, so berichten Astronauten, verlieren Begriffe wie rechts, links, oben, unten völlig an Bedeutung. Haben sie die Erde vor dem Start vielleicht als Ort gesehen, der vor allem von Konflikten dominiert war, so macht der Blick aus dem Weltall die Erde plötzlich zu einem wunderschönen, blauen Planeten. Bei der Betrachtung einer Sache kommt es immer auf den Standpunkt an.
Niemand kann seine eigenen guten Gründe verständlich machen, wenn das Gegenüber nicht bereit ist, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Gerade bei kreativen Entscheidungen ist eine Gesprächsatmosphäre hilfreich, die Meinungsvielfalt zulässt und fördert. Die erfahrene Projektleiterin wird andere Ansichten haben als das junge Nachwuchstalent – aber beide können durch gegenseitigen Perspektivenwechsel zu einem besseren Gesamtergebnis beitragen.
Eine simple Übung für Perspektivenwechsel, der in der Kreativbranche gerne angewendet wird: Setzen Sie sich einmal ans gegenüberliegende Ende des Schreibtisches – und Sie werden bemerken, wie Sie bereits dadurch anders auf ihr Thema blicken.
Perspektivenwechsel fördert emotionale Intelligenz
Rationale Intelligenz ist wichtig zur Lösung von Problemen, für gute Führung aber ist die emotionale Intelligenz entscheidend. Die Qualität der Interaktion von Führungskräften ermöglicht es, den Ideen- und Wissenspool der Mitarbeitenden wirksam zu nutzen. Oft lähmen Dominanzverhalten und unproduktive Konflikte aufgrund mangelnder Selbstreflexion die Zusammenarbeit. Erfolgreiche Arbeit im Team setzt die Fähigkeit voraus, die Wirkung des eigenen Handelns und die Ursachen des Handelns anderer zu erkennen. Das braucht Einsicht in das eigene Handeln sowie in das der MitarbeiterInnen. Die Investition in (Selbst-)Beobachtung und Selbstreflexion ist für Führungskräfte lohnend. Der Perspektivenwechsel ist das Vehikel dafür.
Perspektivenwechsel hilft, in angemessener Form aufrichtigen Kontakt herzustellen und Beziehungen professioneller zu gestalten.
Besserer Überblick, besseres Verständnis für Mitarbeitende und Geschäftspartner
Perspektivenwechsel verbessert den Überblick, weil Sie Ihre eigene Sicht um die anderer ergänzen und dadurch ein umfangreicheres Gesamtbild erhalten. Und er steigert Ihr Verständnis für den Standpunkt Ihrer MitarbeiterInnen, Ihrer KundInnen und Ihrer GeschäftspartnerInnen. Als Richtschnur mag dabei die indianische Weisheit dienen: „Nie will ich einen Menschen beurteilen, sofern ich nicht einige Meilen in seinen Mokassins gegangen bin”. Es hilft, auch im größten Stress einen Moment innezuhalten, durchzuatmen und sich auf den Standpunkt des/der anderen einzulassen.
Empathie lernen durch Perspektivenwechsel
Der Versuch, sich in Ihr Gegenüber zu versetzen und durch seine/ihre Augen zu schauen, fördert Empathie.
Wenn es emotionale Übereinstimmung zwischen zwei Personen gibt, entsteht dabei auch ein vertrauensvolles Verhältnis. Dies lässt sich bewusst herbeiführen. Aus dem Coaching kennen wir die sogenannte Pacing-Technik, in der durch Blickkontakt, aktivem Zuhören und feinfühligem Spiegeln der Körpersprache des anderen Übereinstimmung erzeugt wird. Dies hilft, sich in den anderen hineinzuversetzen und ihn besser zu verstehen.
Seien Sie offen, nehmen Sie sich Zeit, beobachten Sie, zeigen Sie Interesse, hinterfragen Sie und fühlen Sie mit.
Sie können sich dabei hilfreiche Fragen stellen. Was denkt mein Kollege/meine Kollegin in dieser Situation von mir? Wie würde ich handeln, wenn ich Person X wäre? Wie könnte jemand anders an meiner Stelle reagieren?
Perspektivenwechsel steigert Authentizität
Den Blickwinkel zu ändern bedeutet nicht, dass Sie unreflektiert übernehmen, was andere sagen. Sondern die Chance für Erkenntnisse zu nutzen, die sich aus dem eigenen Blickwinkel nicht zeigen. Wenn Sie anderen gegenüber anerkennen, Ihre Position überdacht zu haben, wächst Ihre Authentizität.
Wie Sie es schaffen können, durch die Augen eines/einer anderen zu schauen
Der Wechsel des Blickwinkels ist in der Umsetzung nicht immer ganz einfach. Die Wahrnehmung ist alles andere als objektiv und der Mensch sieht meist nur das, was er sehen will. Und zwar durch seine eigenen Augen und von seiner persönlichen Position aus.
Mit einigen Ingredienzien kommen Sie schon recht weit:
- Geistige Flexibilität, Offenheit, Unvoreingenommenheit
- Feedback – fragen Sie bewusst nach dem Blickwinkel von anderen
- Brechen Sie bewusst Muster – handeln Sie anders
- Richten Sie den Fokus auf Stärken, lassen Sie die Schwächen mal beiseite
Perspektivenwechsel als Grundhaltung in der Führung
Führen auf Augenhöhe und ohne hierarchische Positionsmacht setzt die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln, voraus. Sich in die Position des Gegenübers zu versetzen, hilft Ihnen wertschätzende Akzeptanz dafür aufzubringen, dass der/die andere auf einer anderen Landkarte agiert.
Andere Sichtweisen werden zur Bereicherung und steigern Potenzial und Kreativität des Teams.
„In diesem Programm konnte ich mehr oder weniger spielerisch die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Führens durch kreative Fragen ausloten und musste (wieder einmal) wertschätzend akzeptieren, dass mein Gegenüber für sich eigene Entscheidungen trifft, die auf „meiner Landkarte“, aus meiner Perspektive falsch erscheinen. Diese Grundhaltung des Perspektivenwechsels ist inzwischen ein hilfreicher Bestandteil meines Agierens sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld geworden.
Die Metapher der unterschiedlichen Landkarten, auf denen die Menschen agieren, ist für mich ein neues Element im Zugang zu Menschen geworden.“ führt Wolfgang Scharl aus, Abteilungsleiter im Bildungsministerium.
Perspektivenwechsel trainieren
Trainieren kann man den Perspektivenwechsel sehr gut, wenn man gezwungenermaßen aus der vertrauten Sphäre tritt und mit bisher unbekannten Lebensrealitäten, Einstellungen und Prioritäten konfrontiert wird.
Dem entspricht das Setting in den socialmentoring-Trainings, wo Führungskräfte in einer Mentor-Trainingspartnerschaft mit erwerbsarmen Menschen zusammengebracht werden.
„Man findet den/die Mentee in einer anderen Lebenssituationen vor, als man es von KollegInnen oder MitarbeiterInnen aus dem Berufsleben gewöhnt ist. Es gibt zu ihnen keine hierarchischen oder autoritären Abhängigkeiten, weshalb ‚klassische Führung‘ in der Zusammenarbeit zwischen MentorIn und Mentee nicht funktioniert.“, betont Wolfgang Scharl die Besonderheit dieses Programms.
socialmentoring ist ein Leadership Training, das auf einer realen Situation aufbaut. Ein Mensch in Erwerbsarmut (ein sogenannter „Working Poor“, oft sind das Alleinerziehende) agiert als TrainingspartnerIn der Führungskraft. Es gilt, ihn oder sie entlang seiner/ihrer Potenziale auf seinem/ihrem Weg zu einem existenzsichernden Job zu begleiten.
Der Perspektivenwechsel ist zentrales Element dieses Prozesses, weil die Zielplanung „existenzsichernder Job“ nicht realistisch funktionieren kann, wenn die Bedürfnisse, Lebensumstände und Wertvorstellungen des/der Trainingspartners/-partnerin nicht berücksichtigt werden.
Mit vielfältigen Interventionen steuern erfahrene TrainerInnen und Job-Coaches den Trainingsprozess. Impuls-Workshops, Supervision, Einzelcoaching und durchgehender Lerntransfer sind die Kernbestandteile.
Diese Chance des Perspektivenwechsels lenkt den Blick auch auf das erhebliche Maß der Armutsgefährdung in der österreichischen Gesellschaft. Auf die vielen Menschen, die sehr genau auf jeden Cent schauen müssen, um sich die Ausgaben des Monats sorgfältig einzuteilen. Es schärft das Verständnis für Lebenswelten, die sich von der einer Führungskraft erheblich unterscheiden. Und fördert Demut.
Übrigens: Beim achtsamen Überschreiten der eigenen Grenzen steigen die Risiken, aber auch die Chancen, die Belohnungen und der persönliche Gewinn!
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